Ob mit der Kranken- und Rentenversicherung, elektronischen Meldeverfahren oder der höheren »Betreuungsdichte« in den Jobcentern: Die staatliche Maschinerie ist mittlerweile sehr effizient, wenn es um die Erfassung potentieller Arbeitskräfte geht. VON NORMA SPINDLER

Wer es jüngst versucht hat, dürfte es wissen: Es ist in der Bundesrepublik nicht mehr möglich, für eine Weile ohne einen offiziellen Status zu leben, also nicht Studentin, Angestellter, ALG-I-Empfängerin, Altersrentner oder Freiberuflerin zu sein. Wer sich beispielsweise dazu entschließt, für drei Monate in die Ukraine zu gehen, um die Sprache zu lernen, wird spätestens bei seiner Rückkehr feststellen, dass er in Schwierigkeiten steckt. Die Kassen wollen nämlich das, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht: einen ständigen Fluss an Beitragseinnahmen.

Wer sich etwa ein Jahr lang im nichteuropäischen Ausland aufhält, ist – beispielsweise durch die AOK – nicht mehr krankenversichert, muss aber weiterhin einen monatlichen Beitrag berappen, allein um seine Anwartschaft auf Wiederversicherung nach der Rückkehr aufrechtzuerhalten. Wer dies versäumt, kann nach der Rückkehr dazu gezwungen sein, sich zu horrenden Beiträgen privat zu versichern. Einen Ausweg gibt es nicht, denn seit 2009 besteht für alle Personen mit Wohnsitz in der Bundesrepublik die allgemeine Krankenversicherungspflicht. Zwischen zwei Arbeitsverhältnissen einfach mal für einige Wochen zu Hause zu bleiben, vom Ersparten zu leben und Gedichte zu schreiben, ist völlig unmöglich, denn die Krankenversicherungsträger wollen wissen, wo man war, was man getan hat und vor allem, wo die Beiträge geblieben sind, und fordern gegebenenfalls Nachzahlung.

Ähnliches gilt auch für die Rentenversicherungsträger. In die staatliche Rentenversicherung »Bund« einzuzahlen, sind auch alle Angehörigen von Berufsgruppen gezwungen, die in den vergangenen Jahren zusehends in die Freiberuflichkeit gedrängt wurden und deren Tätigkeit die Zuordnung zu bestimmten Berufsgruppen erlaubt: Honorardozenten und pädagogische Mitarbeiter beispielsweise. Den Berufsgruppen, die noch von dieser Rentenversicherungspflicht ausgenommen sind, sagte Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) im März, dass sich dies bald ändern soll: 45 Einzahlungsjahre mit monatlichen Beiträgen zwischen 250 und 300 Euro, die an die staatlichen Rentenkassen fließen sollen, erwartet sie Spiegel Online zufolge, um den Einzahlern eine Rente zu garantieren, die knapp über der Grundsicherung liegt.

Kann man aber, beispielsweise als Mutter und Hausfrau, die über den Ehemann, oder Vater und Hausmann, der über die Ehefrau versichert ist, auf jeglichen Kontakt zur staatlichen Erfassungsmaschinerie verzichten? Keineswegs. Man sollte die Bundesagentur für Arbeit aufsuchen und sich arbeitsuchend melden, denn nur so werden die Jahre zu Hause auf die Rentenanwartschaft angerechnet. Dasselbe gilt für Einwanderer, die zusätzlich – selbst wenn sie keinen Anspruch auf ALG II haben – in ein zeitaufwendiges System des Spracherwerbs eingebunden werden und verpflichtet sind, je nach angestrebtem Beruf Kurse entsprechend dem »Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen« zu absolvieren, dessen höchste Niveaustufe C 2 ist. Bis man diese erreicht, kann es schon einige Jahre dauern.

Das Jobwunderland Deutschland gibt sich alle Mühe, jede potentielle Arbeitskraft zu erfassen. Und die Tentakel der Erfassungsorgane reichen weiter, als den meisten bewusst ist. So wurde erst jüngst bekannt, was aus dem letzten Großprojekt der Bundesregierung geworden ist, dem »elektronischen Entgeltnachweis«, dem die Behörden den unverdächtigen Frauennamen »Elena« gegeben hatten (Jungle World 2/10). »Elena« verpflichtete Arbeitgeber im Jahr 2010 dazu, monatlich die Entgeltdaten ihrer Beschäftigten an eine zentrale Speicherstelle zu übermitteln, auf welche die Kassen, Finanzämter und Arbeitsagenturen Zugriff haben sollten. Da die Arbeitgeber aber auch Informationen über Abmahnungen und Kündigungsgründe weitergeben sollten, protestierten Datenschützer und klagten. »Elena« wurde vorerst außer Kraft gesetzt.

Nun wird »Elena« jedoch von »Bea« abgelöst. Das Kürzel steht für »Bescheinigungen elektronisch annehmen«. Arbeitgeber sollen ab 2014 nach dem Ende eines Beschäftigungsverhältnisses die Arbeitsbescheinigungen, in denen die Art der Tätigkeit, die Höhe der Bezahlung und die Dauer der Beschäftigung festgehalten sind und anhand derer über den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld entschieden wird, auf elektronischem Weg direkt an die Bundesagentur für Arbeit übermitteln. Zudem gibt es noch das »Projekt OMS« (»Optimiertes Meldeverfahren in der sozialen Sicherung«). Mit ihm will das Arbeitsministerium in den nächsten zwei Jahren die elektronischen Meldeverfahren in der Sozialversicherung untersuchen und verbessern.

Auch wer arbeitet, steht also unter Aufsicht der Bundesagentur für Arbeit. Wer keine Arbeit hat sowieso. So reichte es den Berliner Jobcentern nicht mehr, ihre »Kunden« nur alle zwei oder drei Monate zu sehen. 350 neue Mitarbeiter wurden 2010 eingestellt, die zwar fachfremd waren, aber die Aufgabe hatten, eine höhere »Betreuungsdichte« zu gewährleisten, also potentiell vermittelbare Kunden alle zwei Wochen vorstellig werden zu lassen. Scheinbar mit großem Erfolg: 11 000 Langzeitarbeitslosen sei im vergangenen Jahr eine Stelle vermittelt worden, vermeldete die Berliner Zeitung über das Projekt »Berliner Joboffensive«, ohne zu erwähnen, dass der Bundesagentur für Arbeit bereits die Vermittlung in ein Beschäftigungsverhältnis von mindestens sieben Tagen als Vermittlungserfolg gilt.

Der Staat lässt es sich also einiges kosten, Empfänger von ALG II immer intensiver zu »betreuen«. So berichten »Kunden« des Jobcenters im Berliner Bezirk Reinickendorf, dass sie mittlerweile wöchentlich einbestellt werden. Auf der anderen Seite merken Menschen, die sich zurzeit arbeitslos melden müssen, dass die Bundesagentur für Arbeit wirklich effizienter geworden ist als früher: Sofern alle Papiere vorliegen und man sich rechtzeitig vor Ablauf der Beschäftigung arbeitsuchend gemeldet hat, ist das Arbeitslosengeld in der Regel am Ende des Monats wirklich auf dem Konto, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind kompetent.

Ein Grund zur Freude? Hausfrauen und -männern, die sich arbeitsuchend gemeldet haben, flattern Qualifizierungsangebote ins Haus. Arbeitslose und arbeitsuchende Migranten werden zu sogenannten Profilinggesprächen bestellt, in denen ihre Sprachkompetenz ermittelt wird und sie ihre Zuweisung zum Sprachkurs erhalten. Der staatliche Drang zu Kontrolle und Erfassung lehrt die Verwalteten ständige Verfügbarkeit. Und diese erwarten die Arbeitgeber. So suchte die »Gesellschaft für Beratung und Dienstleistung« in den zurückliegenden Wochen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für ein Callcenter. Diese sollten von montags bis freitags zwischen sechs und 23 Uhr für Arbeitseinsätze flexibel zur Verfügung stehen – für sieben Euro brutto pro Stunde. Was diejenigen in den Jobcentern in Zukunft erwarten wird, die sich diesem Zwang zur Flexibilität widersetzen, ist absehbar angesichts der Tatsache, dass der Bundesagentur für Arbeit ab 2014 dank »Bea« schon die Urteile der Arbeitgeber vorliegen. Erstaunlich bleibt allein der Umstand, in welch geringem Maß die zunehmende Erfassung und Kontrolle von der Linken kritisiert wird.

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